Sandweiler (L)
Restaurierung - Rückführung - Erweiterung
Builder / Facteur / Orgelbauer:
Gebrüder MAYER (Feldkirch / A) 1996 II-22
Concept / Plans / Entwurf:
J.J. KASEL
Casedesign / Buffet / Gehäusezeichnung:
Historisch: | Werner HEINRICH |
Gebrüder MÜLLER (Reifferscheidt / D) |
Voicing / Harmonisation / Intonation:
Rückintonation und neue Stimmen: Nikolaus BLONIGEN
Scaling / Tailles / Mensuren:
Nikolaus BLONIGEN
Console design-ergonomy / plans console-ergonomie /
Spieltischdesign-Ergonomie:
J.J.KASEL (Ergonomie), MAYER Orgelbau (Design)
Die Müller-Mayer-Blonigen-Orgel von Sandweiler
Die früheste Datierung der Orgel von Sandweiler wird im Jahre
1905 verbucht.
Die Orgelbauwerkstatt Müller aus Reifferscheid (D) bekam ein
Instrument mit 2 Manualen und 15 Registern in Auftrag, für das
Pfarrer Werner Heinrich selbst das minimalistische, elegant
geschwungene Gehäuse entwarf. Die Orgelmontage wurde 1906
abgeschlossen und das Instrument intoniert .
Genau zum hundertsten Male jährte sich also 2006 die
Geburtsstunde eines der ältesten Instrumente Luxemburgs und
eines der interessantesten.
Eine Revision durch Sekundus Fischer (Cruchten, L) im Jahre 1922
bescherte der spätromantischen Orgel ein zusätzliches
Cello 8' im Pedalwerk, 1931 versah Fischer das Instrument dann mit dem
längst überfälligen elektrischen
Gebläse. Anfang der 7o-er Jahre sollte dann die Orgel,
zeitgleich zu einer Kirchenrestaurierung, abgetragen und "restauriert"
werden (die Manufacture d'orgues Luxembourgeoise aus Luxemburg-Lintgen
bekam den Auftrag ). Die umgebaute Orgel fand nach dem teilweise
zweifelhaften Eingriff auf der eigens dazu neu erbauten Empore ihren
Platz. Der alte Spieltisch, von dem bis heute nach wie vor jede Spur
fehlt, verschwand auf mysteriöse Weise, und wurde durch ein
seitlich platziertes, billigst gefertigtes und optisch indiskutabel
wirkendes Sparmodell ersetzt, das nunmehr die elektro-pneumatischen
gewordenen Kegelladen befehligen sollte (früher rein
pneumatisch). Die Dispositionsänderungen beliefen sich gottlob
auf wenige Additionen, die allerdings stylistisch ebensowenig
akzeptabel wie der neue Spieltisch waren. Das alte Pfeifenwerk blieb,
zumindest in seiner materiellen Substanz, unangetastet. Die
Neuzugänge von 1974 waren tendenziös: die Orgel
sollte durch zusätzliche, scharf klingende 2'- Prinzipal und
Terzzymbelklänge "aufgehellt und vielseitiger verwendbar
werden", eine neu disponierte Choralflöte 2- fach (Pedalwerk)
wurde zwar am Spieltisch angegeben, dennoch nie eingebaut. 1995
beschloss die Pfarrgemeinde, die historisch wichtige
Müller-Orgel sachgerecht technisch und klanglich
wiederherstellen zu lassen, und ein Auftrag ging, nach meiner
eingehenden Prüfung mehrerer Angebote nahmhafter
Orgelbauwerkstätten als verantwortlichem
Sachverständigen, an Orgelbau Gebrüder Mayer aus
Feldkirch (A).
Die
großen Richtlinien meines Plans waren, zunächst
das
ursprüngliche Klangvolumen (hoher initialer Winddruck, 90mm)
durch eine Intonationsrevision wieder zum Leben zu erwecken und die
Schwellbarkeit des zweiten Manuals erstmals zu ermöglichen.
Die Fußlochweiten, die wir vorfanden standen zum Teil im
Gegensatz zu
dem Windaufkommen das vorhanden war. Das zweite Manual erhielt eine neu
gefertigte, optisch wie technisch perfekt in den alten Prospekt
integrierte Schwellfront und ein hinteres Abschlussgehäuse. Es
gebot sich meines Erachtens nach aber auch, die etwas sparsame
Grund-Disposition im Sinne der damaligen Musizierpraxis zu
vervollständigen. Die Manualumfänge sollten auf 56
Noten (bisher 54), der Pedalumfang auf 30 (bisher 27 !) Noten gebracht
werden, um die Ausführbarkeit der Literatur der deutschen
Romantik und auch französischer Musik umfassender zu
gewährleisten. Besondere Sorgfalt wurde der Tastennorm
zugetragen, die nunmehr den Maßen der international
gebräuchlichen Konzertflügel entspricht, besonders
beim Spiel komplexerer Werke aus der Spätromantik eine
wirkliche Optimierung des Spielgefühls. Die Rauschquinte
2-fach des Hauptwerks sollte durchlaufend 2-4-fach werden. Es war
sodann
erforderlich einen gänzlich neuen Spieltisch zu entwerfen, der
in freier Anlehnung an Zeitdokumente des angehenden 20. Jahrhunderts
sowohl optisch als auch ergonomisch einwandfrei zur Orgel passen
sollte. Eine Kopie eines anderen , noch erhaltenen
Müller-Spieltisches anfertigen zu lassen schien mir aus
Gründen des Respekts vor der Initialvariante nicht
schlüssig. Dass er als zeitgenössisches, wenn auch
formal an frühere Zeiten erinnerndes Attribut jederzeit von
der alten Bausubstanz zu unterscheiden sein musste war mir klar, und so
entwarf ich ihn farblich und formal eigenständig, und
ließ
ihn wieder zentral vor die Orgel platzieren.
Die durch die in den 70-er Jahren vorgenommene Elektrifizierung
gegebene Möglichkeit der Einfügung einer Setzeranlage
mit Sequenzern hielt ich nicht für stilbrüchig,
ebenso nicht die Anbringung von Zungeneinführungen und
Koppeltritten über der Pedalklaviatur.
Bereits die 1906 entworfene Orgel hatte immerhin eine (seltene)
Basskoppel (P/I), alle Normalkoppeln und 3 freie Kombinationen.
Besonders wertige Materialien und eine kunstvolle Ausführung
der Spieltischdetails durch Orgelbaumeister Mayer ließen
einen eigenständigen, stilistisch einwandfreien und sehr
einladenden Spieltisch entstehen. Das Pedalwerk musste endlich eine
diskrete aber tragfähige Zunge 16' beinhalten, um der
außerordentlich stimmgewaltigen Hauptwerkstrompete einen
Kontrapunkt
geben zu können. Nach sehr langen Recherchen in historischem
Buchmaterial zum damaligen Zungenpfeifenbau stieß ich auf den
Namen Deimling, ein Orgelbauer der weiland ein neuartiges
Fagott-Register zwar verbal umrissen hatte, ohne dass es jedoch je
nachweislich gebaut worden wäre.
Deimlings eloquente Beschreibungen ließen mich die Idee sehr
nachhaltig verfolgen, dieses Register weltweit erstmalig bauen zu
lassen. Das "Deimling-Fagott", entwickelte ich zusammen mit dem
Zungenpfeifenspezialisten Roland Killinger. Eine ganze Reihe von
Versuchen, Prototypen, Verwerfungen und Adaptationen bescherte uns
schließlich eine wunderbar runde, feine Pedalzunge in
16'-Lage, die mit ihrer im Obertonbereich komplexen, aber weichen und
im Grundtonbereich unvermutet füllenden Aussprache ein
begeisterndes Ambiente schafft. Ebenfalls eine Seltenheit: die neue
"Fortunalflöte 4' " im Pedal, eine im Körper 50%
zylindrische, 50% trichterförmige Flöte
(Prinzipallabierung, aber hoher Aufschnitt, variabler
Trichterdurchmesser oben von 1,5 bis 2,2:1) mit einer riesigen
Tragweite und fantastischer Raumerregung; ein Solo-und
Füllregister dessen einmaliger Klang begeistert.
Ein 8'- Englischhorn sollte das nunmehr schwellbare zweite Manual
ebenfalls mit Zungenklang versehen, auf verführerische Weise
rund intoniert und mit viel Esprit. Dazu wünschte ich mir eine
4'-überblasende Flûte octaviante ins Hauptwerk sowie
als Pendant zur Hauptwerks-Rauschpfeife eine zweite Mischstimme ins
Schwellwerk, die ich mir idealerweise als Progressivharmonika
vorstellte: ein tiefes, im scholastischen Sinne nicht wirklich
repetierendes Mixturregister 2 bis 5-fach, das mit 4' - 1 1/3' beginnen
sollte, dann durch Zugewinn an Rängen in seiner Mitte, an
Fülle gewänne, und schließlich in der
letzten Repetition auf 8' - 5 1/3' - 4' - 3 1/5' -
2'
auslaufen würde. Eine 2' Flöte, ebenfalls
überblasend, konnte von den Platzverhältnissen her im
Manual II vorgesehen werden, eine wichtige Klangnuance für
Detailregistrierungen und als Bindeglied zur Progressivharmonika,
inmitten derer sie, zugezogen, immer noch deutlich
zu hören ist. Schließlich, und dies schien mir die
Orgel dann aufs Wünschenswerteste zu komplettieren, sollte
wenigstens eine Farbstimme vorhanden sein, ein Nasat 2 2/3' im
Hauptwerk erwies sich als adäquate Besetzung.
Sämtliche Berechnungen dieser neuen Stimmen, der
Tessiturergänzungen sowie die komplette Neuintonation und
Rückintonation der alten Register besorgte auf meinen Wunsch
hin Nikolaus Blonigen (+ 2005), der geniale Intonateur der ehemaligen
Werkstatt Kleuker (Bielefeld Brackwede). In meinem beratenden Beisein
vollführte er in 4 Wochen mit der alten und neuen Substanz auf
wundersame Weise Begeisterndes.
Die teils stummen Prospektpfeifen sollten neu gefertigt werden, ebenso
wurde das Gehäuse fachgerecht instandgesetzt, und die
zusätzlichen zwei Pedalregister in einer begehbaren
Gehäuseverlängerung, nach leichter
Vorrückung des gesamten Orgelkorpus, hinter dem
Hauptgehäuse untergebracht. Nach der
Rückführung der alten Klangfarben auf gute Ansprache
und stimmiges Klangniveau, passend zum originalen hohen Winddruck,
hatte die Orgel nunmehr wieder eine sehr deutliche,
kupfern-füllige, sehr charakteristische Stimme, die eine sehr
breite Palette an romantischen Klangnuancen bereithält,
trotz der Beschränkung auf 22 Register. Durch sehr
viele einmalige Farbdetails ( z.B. Fortunalflöte,
Deimling-Fagott, Progressivharmonika, Englischhorn) in der historischen
und neuen stilistisch kongruenten Substanz, und durch die
wiedergewonnene Funktionssicherheit und optische Wiederherstellung des
Gehäuses kann die Müller/Mayer/Blonigen-Orgel von
Sandweiler als ein Ausnahme –Instrument dieser
Größe in der Großregion gelten .
Disposition:
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10 Jahre nach der Restaurierung - 100 Jahre romantische Tradition |